Laudatio zum

Austrian Supply Excellence Award (ASEA) 2019

am 10. Oktober 2019 im Haus der Industrie, Wien

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

will man heute innovative Lösungen entwickeln, kommt man am Thema Digitalisierung nicht vorbei – so strapaziert der Begriff auch ist.

Digitalisierung steht für den zunehmenden Einsatz elektronisch vernetzter Systeme in allen Bereichen der Gesellschaft und der industriellen Wertschöpfung. Die Einsatzbereiche reichen hierbei von Produktentwicklung, Konstruktion, Einkauf und Fertigung bis hin zur Steuerung der Materialflüsse mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit durch erhöhte Transparenz, Agilität, Adaptivität und Flexibilität wesentlich zu erhöhen.

Die zentralen Konzepte der Smart Supply Chains, der intelligenten Lieferketten, sind Vernetzung und Selbststeuerung. Produkte, Bauteile und Stoffe tragen die Information über ihre Natur, Beschaffenheit und ihren Status an sich. Diese Objekte sind vernetzt und kommunizieren miteinander. Über Regeln und Algorithmen kann eine teilweise oder vollständige Selbststeuerung geschaffen werden, in der Beschaffung, der Fertigung, im Güterfluss, und in administrativen Prozessen.

Herausforderungen sind die anbieter-, branchen- und grenzüberschreitende Standardisierung von Systemen und Schnittstellen in Material- und Informationsflüssen, die Definition von Business Cases zum Nachweis der Sinnhaftigkeit von Technologieinvestitionen, die Entwicklung von Modellen der organisatorischen Integration im Umfeld neuer Technologien, die Gewährleistung der Sicherheit für Menschen und Daten (Cyber Security) sowie die Entwicklung der notwendigen Kompetenzen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

Diese Themen und Herausforderungen spiegeln sich auch in den Projekten wider, die in den letzten Wochen zum Austrian Supply Excellence & Einkauf 4.0 Award eingereicht wurden.

Alle diese Projekte sind Schritte auf einem Weg, von dem wir noch nicht genau wissen, wohin er führt. Es gibt keine idealen Modelle für die neuen Supply Chains, und es gibt keine fertigen Lösungen.

Der Reifegrad der umgesetzten Systeme ist unterschiedlich, sie stellen kleinere oder größere Bausteine einer innovativeren, leistungsfähigeren, effizienteren oder nachhaltigeren Supply Chain dar.

Bewertet wurden die Einreichungen nach den Kriterien

  • Innovationsgrad (Innovatorenrolle, Breitenwirkung)
  • Durchführung (Projektmanagement, Teambildung, Rolle des Top-Managements)
  • Kosten-Nutzen (kurz-, mittel- und langfristig, in den Kategorien finanziell, ökologisch, sozial/ethisch)
  • Präsentation (Struktur, Argumente, Detailliertheit, Kriterien ASEA, Aufbereitung)

Die Jury entschied auf der Basis dieser in den Statuten des Awards festgelegten Kriterien. Die Bewertungen der Jurymitglieder wurden zusammengeführt, diskutiert, es waren einige Runden, Rückkoppelungen und Präzisierungen notwendig, um ein abgestimmtes Ergebnis zu erhalten. Letztlich gelang es, aus den guten die noch etwas besseren Lösungen herauszufiltern. Es wurden einvernehmlich die Projekte ausgewählt, die den Supply Excellence Award in den einzelnen Kategorien erhalten werden.


Damit komme ich zu den Preisträgern des heutigen Abends.

Anerkennungspreise gehen an:

Raiffeisen Bank International AG

für das Projekt „Procurement Staff Development Guide“ für autonome, digitalisierte Findung von individuellen, bedarfsbezogenen Trainingsprogrammen im Rahmen der betrieblichen Personalentwicklung und Weiterbildung.

Ein online Personalentwicklungsprogramm, mit dem die Mitarbeiter des Procurement in fünf Rollenprofilen eigenständig eine Bewertung der wichtigsten Funktions- und Verhaltenskompetenzen durchführen können. Als Ergebnis erhalten die Nutzer einen personalisierten Vorschlag für ein on- und offline Schulungspaket. Das Projekt wurde für anerkennenswert befunden, weil hier der Mensch im Mittelpunkt steht.

EVN AG

Anerkennungspreis in der Kategorie IT für die Integration zweier ERP-Systeme als Digitalisierungsbeitrag im operativen Einkauf.

„Digitalisierung des Zuweisungs- und Übernahmeprozesses von Bestellanforderungen zwischen zwei IT-Systemen mit Hilfe einer RPA-Lösung im Beschaffungswesen des EVN Konzerns“

RPA steht für robotergesteuerte Prozessautomatisierung (engl. Robotic Process Automation), also eine Automatisierung durch fortgeschrittene Technologie. Betrieben werden diese Prozesse durch Softwareroboter oder künstliche Intelligenz, welche programmierte Schritte von Menschen kopieren und digital nachahmen. Eine innovative Technologie, die hier eingesetzt wird und zu deutlichen Effizienzsteigerungen führt.

Melecs EWS GmbH

Anerkennungspreis im Risiko-Management zur Versorgungssicherung bei Engpass-Materialien („Shortage Management Excellence“)

Die Elektronikindustrie ist immer wieder mit Materialengpässen bei Bauteilen konfrontiert, aufgrund der herausfordernden Marktsituation für elektronische Bauteile im Allgemeinen und für Multilayer Ceramic Chip Capacitors (MLCC) im Besonderen.

Es wurde ein interdisziplinäres Team eingerichtet, um die Engpasssituation zu bewältigen, zusätzliche Kosten zu vermeiden und die Kunden zuverlässig beliefern zu können. Eine organisatorische Lösung, die auf den Menschen und Zusammenarbeit baut.


Ich setze fort mit den Gewinnern des Austrian Supply Excellence Award 2019:

Kategorie „Innovation“ : Wien Energie GmbH

Wien Energie versorgt rund zwei Millionen Menschen, 230.000 Gewerbe- und Industrieanlagen sowie 4.500 landwirtschaftliche Betriebe im Großraum Wien mit Strom, Erdgas, Wärme und Kälte. Zu den Aufgaben des Unternehmens zählen die Energieproduktion, Abfallverwertung, Energieberatung und Energiedienstleistungen, Gebäudewartung (Facility Management) und Telekommunikation. Über mehrere Projektbeteiligungen ist Wien Energie auch im europäischen Ausland aktiv.

Mit einem Umsatz von 1.440,0 Millionen Euro (2018) zählt Wien Energie zu den 30 umsatzstärksten Unternehmen Österreichs. Im Geschäftsjahr 2018 waren in den Unternehmensbereichen der Wien Energie GmbH 2.251 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

Der Supply Excellence Award wird vergeben für das Projekt „Process Mining Rollout“.

Process Mining ist eine Prozessanalysemethode, die darauf abzielt, reale Prozesse zu erkennen, zu überwachen und zu verbessern, indem Wissen aus verfügbaren Ereignisprotokollen in den Systemen der aktuellen Informationen einer Organisation auf einfache Weise extrahiert wird.

Wien Energie erkannte diese Innovation früh und führte Anfang 2018 ein Pilotprojekt in der Beschaffung durch, unter Einsatz des Tools Celonis. Angewendet auf den Purchase-to-Pay (P2P) Prozess, konnte komplette Transparenz entlang der Wertschöpfungskette (von der Angebotseinholung hin zur Bezahlung) erreicht werden.

Der Nutzen:

  • Identifikation und Visualisierung von Prozessineffizienzen, Definition von Verbesserungsmaßnahmen
  • Konstantes Monitoring des Prozesses sowie von qualitativen KPIs
  • Evaluierung von quantitativen KPIs und Know-how bzgl. „Entstehung“ anhand der Prozessdaten

Der Slogan: Weg vom Bauchgefühl hin zur datenbasierten Prozessoptimierung.

Kategorie „Digitalisierung“: AVL List GmbH

AVL ist das weltweit größte private und unabhängige Unternehmen für die Entwicklung von Antriebssystemen mit Verbrennungsmotoren und Mess- und Prüftechnik. Gegründet als „Anstalt für Verbrennungsmotoren List“ im Jahr 1948, ist die AVL in der jetzigen Rechtsform (GmbH) seit 1979 tätig und weltweit in über 45 Ländern präsent.

Die Unternehmensbereiche umfassen die Entwicklung Antriebssysteme (Powertrain Engineering/PTE), die Motorenmesstechnik und Testsysteme (Instrumentation and Test Systems/ITS) und Advanced Simulation Technologies. AVL besitzt das Engineering und Testing Know-how über die Breite des gesamten Entwicklungsprozesses.

Die Einkaufsprozesse in der AVL wurden in den letzten Jahren digitalisiert und weitestgehend automatisiert. Dafür stehen verschiedene Tools und Schnittstellen vom und zum ERP-System SAP zur Verfügung. Ein bedeutender Prozessschritt in der operativen Bestellabwicklung, der noch kaum automatisiert wurde, war die Verarbeitung der Auftragsbestätigungen. 60.000 Auftragsbestätigungen im Jahr brauchen eine schnellere und effizientere Methode als das manuelle Eintragen der Auftragsbestätigungen in das SAP ERP-System.

Das eingereichte Projekt heißt „Einführung eines OCR-Tools zur Verarbeitung von Auftragsbestätigungen in SAP“

Zum Zeitpunkt des Projektstartes erreichten ungefähr zwanzig Prozent der Auftragsbestätigungen AVL über EDI, der Rest kam als PDF per E-Mail. AVL arbeitet im Projektgeschäft mit vielen unterschiedlichen und auch sehr kleinen Lieferanten zusammen, die teilweise gar kein ERP-System im Einsatz haben. Der Umstieg der Lieferanten auf eine EDI-Lösung konnte daher nicht im notwendigen Umfang umgesetzt werden.

Das Ziel des Projekts war die Findung einer Lösung zur möglichst automatisierten, effizienten AB-Verarbeitung für die AVL, um die Arbeit im operativen Einkauf zu erleichtern, qualitativ zu steigern und die Terminpflege der stetig steigenden Bestellvolumina transparent und prozessoptimiert abwickeln zu können. Basierend auf einer Analyse der Ist-Situation wurde nach einem Auswahlverfahren als geeignete Lösung die OCR-Anwendung der Fa. AFI Solutions GmbH gewählt.

AVL ist es gemeinsam mit AFI Solutions gelungen, ein zentrales Tool für die Verarbeitung von Auftragsbestätigungen in die bestehende Einkaufs-Systemwelt zu integrieren. Die manuelle zeitintensive Bearbeitung von PDF-Dokumenten gehört der Vergangenheit an, Auftragsbestätigungen können nun strukturiert und transparent direkt in SAP abgearbeitet werden. Die Möglichkeit bestimmte Lieferanten auf einen automatisierten Dunkelbuchungsprozess umzustellen, erhöht den Effizienzgrad enorm. In einem weiteren Schritt konnten SAP Ariba-Dokumente in den Prozess integriert werden. Damit hat die AVL einen zentralen Eingangskanal für alle Auftragsbestätigungen geschaffen: PDFs und EDI- bzw. Ariba-Dokumente.

Aktuell sind neben dem Headquarter in Graz zwei Standorte in Deutschland eingebunden, in der Umsetzung sind die USA, Großbritannien und Spanien sowie Europa generell. Im kommenden Jahr folgt der asiatische Raum mit China und Indien.

Für herausragende Master-, Doktorats- und Forschungsarbeiten in einkaufsrelevanten Kategorien wird der Austrian Supply Excellence – Wissenschafts-Award vergeben.

In der Kategorie „Beste wissenschaftliche Arbeit“ wurde in diesem Jahr mit der Masterarbeit von Frau Kathrin Meinert ein Beitrag ausgezeichnet, der sich dem Thema Blockchain widmet.

„Eine Potenzialanalyse der Blockchain-Technologie für das Supply Chain Management 4.0 eines Unternehmens“

Die Arbeit entstand im Rahmen des Masterstudiums an der Universität Leipzig, die Betreuer und Gutachter waren Prof. Gregor Weiß von der Universität Leipzig und Prof. Holger Müller von der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig.

Das Ziel der Masterarbeit war es, eine Potenzialanalyse der Blockchain-Technologie für das Supply Chain Management eines Unternehmens durchzuführen. Dabei wurden Vor- und Nachteile der Blockchain-Technologie identifiziert und bewertet. Es wurden mögliche Szenarien einer zukünftigen Blockchain-Nutzung im Supply Chain Management beschrieben, weiters die Wirkungen in den Dimensionen Technologie und Systeme, Organisation und Prozesse, Management und Mensch sowie Geschäftsmodelle.

Eine empirische Studie untersuchte, ob sich Unternehmen grundsätzlich eine Blockchain-Nutzung im Supply Chain Management vorstellen können, wie der derzeitige Stand ist, und welche Folgen eine Umsetzung hätte. Die Ergebnisse:

  • Die große Mehrheit der befragten Unternehmen kann sich zukünftig eine Blockchain-Nutzung für das Supply Chain Management vorstellen. Nur sehr wenige Unternehmen nutzen allerdings aktuell eine Blockchain oder erproben einen Einsatz.
  • Je größer das Unternehmen bzw. je besser der Wissensstand des Mitarbeiters ist, desto eher ist eine zukünftige Blockchain-Nutzung für das Supply Chain Management vorstellbar.
  • Als Hauptmotive für Blockchain-Nutzung werden Daten- und Informationsaustausch gesehen, eine gemeinsame Plattform, höhere Datensicherheit, Abbau von Informationsasymmetrie und höhere Transparenz.
  • Als Gründe, die gegen eine Blockchain-Nutzung sprechen, werden die mangelnde Praxistauglichkeit und Reife, das Fehlen von konkreten Anwendungsszenarien, die Zersplitterung des Marktes, fehlende Standards, fehlende Integrierbarkeit und Sicherheitsbedenken genannt.

Resümee: Die Diskussion der Blockchain-Technologie wird vor allem in der Literatur geführt und scheint in der Praxis noch nicht angekommen zu sein.

Ich darf allen Preisträgern herzlich zu ihren Leistungen gratulieren, mich aber auch bei den weiteren Einreichern bedanken, die hier nicht genannt wurden, die aber ebenfalls beachtliche Leistungen in ihren Projekten erbracht haben. Letztendlich danke ich der Jury für ihren ehrenamtlichen Einsatz bei der Bewertung der Einreichungen, und Ihnen, meine Damen und Herren, für ihre geschätzte Aufmerksamkeit.

© Univ.-Prof. Mag. Dr. Helmut Zsifkovits

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